OPINIONS
05/02/2014
Filmemachen gibt Hoffnung und zeigt, dass Kunst, neben Brot und neben Wasser, ein Grundbedürfnis ist

Kulturgespräch 5.2.2014
Filme als Hoffnungsträger

Cristin Lüttich von der Hilfsorganisation Bidayyat über die Arbeit syrischer Dokumentarfilmer
Zuletzt waren es Fassbomben. Von Hubschraubern abgeworfen rasen sie unaufhaltsam auf die Erde zu und schlagen in Wohnhäusern ein. Wir kennen so viele furchtbare Bilder aus Syrien, dass wir aufgehört haben, sie zu zählen und wegschauen, schon wegen des Gefühls der eigenen Hilflosigkeit. Und so stehen diejenigen, die bis heute über den syrischen Bürgerkrieg berichten, vor der Frage, was für Bilder sie eigentlich noch zeigen sollen, damit wir nicht wegschauen. Christin Lüttich arbeitet für die syrische Nichtregierungsorganisation Bidayyat, die syrische Filmemacher unterstützt, die aus dem abgeschotteten Land berichten.
Zerstörung nach mutmaßlichem Raketeneinschlag in Aleppo

Frau Lüttich, seit bald drei Jahren sehen wir Straßenkämpfe, Bombeneinschläge in Wohnvierteln, verstümmelte oder getötete Menschen. Was für Bilder versuchen Sie zu finden, damit die Menschen in Europa nicht mehr weg-, sondern wieder hinschauen?
Es ist ja so, dass selbst die Syrer durch diese drei Jahre des andauernden Tötens und der Gewalt abgestumpft sind. Die Idee dieses Projektes ist es, wieder menschliche Geschichten zu erzählen und zu schauen, wer diese Menschen, die da gestorben sind, eigentlich waren, wie sie gelebt haben. Oder von Menschen zu berichten, die weiterhin vor Ort versuchen, Hilfe zu leisten oder noch eine Art ziviles Leben aufrecht zu erhalten. Welche Ängste, welche Zweifel, aber auch welche positiven Erlebnisse haben sie? Das alles versuchen wir zu vermitteln, in persönlichen Filmen, aus einem ganz subjektiven Blickwinkel.

Was wäre ein typisches Beispiel für ein solches Schicksal?
Ganz typisch sind beispielsweise die Filme junger palästinensischer Filmemacher, die in dem Vorort Yamuk leben, einem palästinensischen Camp, das jetzt gerade relativ oft in den Medien war, weil es seit mehr als sechs Monaten von den Regierungstruppen belagert und systematisch ausgehungert wird. Und diese jungen Filmemacher, die selbst in diesem Camp waren, haben versucht, genau diese Situation zu schildern, indem sie sich und ihre Freunde im Alltag gefilmt haben, bis die Hälfte der dort lebenden Flüchtlinge bei einem Bombenangriff getötet wurden, bei dem auch die Hilfszentren zerstört wurden. Und einer dieser jungen Filmemacher zeigt in seinem Film sozusagen seine Orte der Erinnerung im Camp, das Krankenhaus, in dem seine Ehefrau arbeitete und die Opfer behandelte. Und dieser Film zeigt auch seine Sorge um seine Frau, ob sie diesen Angriff überhaupt überlebt hat. Das Ganze ist eine sehr subjektive Hommage an das Camp selbst und vermittelt auch ganz stark dieses Gefühl, erneut die Heimat verloren zu haben.

Ist dieser Zwang, etwas Passendes liefern zu müssen, um überhaupt noch wahr genommen zu werden, nicht sehr deprimierend?
Eigentlich geht es bei diesem Projekt, das ein syrisches Projekt ist, vor allem darum, den jungen Filmemachern ein bisschen mehr Freiheit zu geben und eben weg zu kommen von diesem Diktat des Fernsehens, das bestimmte Bilder abfragt. Das Angebot war: "Wir haben eine kleine Finanzierung, wir können Ausrüstung anbieten, Kameras etc., wir können auch kleine Trainingsworkshops machen, und Ihr könnt eigentlich selbst entscheiden, worüber ihr Filme machen wollt." Und auf diese Weise werden auch wirklich ganz andere Akzente gesetzt, beispielsweise in Form der Satire, wo man sich über die zunehmenden Hassparodien seitens der Regimeunterstützer als auch seitens der Islamisten lustig macht. Das heißt, es gibt auch Filme, die einem zum Lachen bringen und bei denen man sich am Ende sagt: "Naja, wenn wir uns gegenseitig umbringen wollen, dann könnten wir eigentlich gleich die ganze Menschheit töten."

Wie können denn unter den derzeitigen Umständen überhaupt noch Filme gedreht und aus Syrien herausgebracht werden?
Das ist ganz unterschiedlich, muss man sagen. Zum einen haben wir ein Netzwerk von Leuten, die in Damaskus, aber auch in den sogenannten befreiten Gebieten im Norden Syriens sehr aktiv sind. Es ist aber oft sehr schwer für sie, ihr Filmmaterial dort auch zu bearbeiten und in die letztendliche Form zu bringen. Deswegen versuchen wir, die Leute dafür nach Beirut oder auch in die Türkei zu holen, damit sie ein bisschen Distanz zu dem, was sie dort erlebt und gefilmt haben, bekommen und  auch einen künstlerischen Blick auf das Ganze entwickeln können. Denn wir sind der Ansicht, dass gerade dieses tagtägliche und stets an den Nachrichten orientierte Berichterstatten dazu geführt hat, dass die Leute so abgestumpft sind. Und wir glauben, dass dieses doch sehr subjektive und auch künstlerische Anliegen auf lange Sicht dazu führen wird, dass die Leute verstehen werden, was in Syrien passiert beziehungsweise passiert ist.

Frau Lüttich, Sie waren lange für den Deutschen Entwicklungsdienst tätig, jahrelang auch in Syrien. Jetzt arbeiten Sie schon seit einem Jahr von Beirut aus mit den Filmemachern zusammen. Was erhoffen Sie sich von diesem Projekt?
Ich erhoffe mir, dass durch dieses Projekt nicht mehr nur die Stimme des Todes und der Verwüstung aus Syrien heraus spricht, indem wir jeden dieser Menschen dabei unterstützen zu sagen: "Wir sind am Leben. Wir werden nicht aufgeben." Wir sind weiterhin bemüht zu zeigen, dass Syrien nicht nur aus Islamisten und Kampfbombern besteht, sondern dass es sehr viele junge Leute gibt, die wirklich aktiv sind und nach wie vor in ihr Land investieren und die Hoffnung haben, wieder dorthin zurückzukehren. Was mich dabei vor allem bewegt, ist, dass diese jungen Leute ein unheimlich starkes Identifikationsgefühle zu ihrem Land haben. Denn sie wollen eben nicht einfach nach Frankreich oder Deutschland oder Großbritannien ausreisen, sondern sie wollen eigentlich etwas für Syrien tun und auch so schnell wie möglich dorthin zurück. Und ich finde, das gibt einfach Hoffnung und zeigt auch, dass Kunst, neben Brot und neben Wasser, ein Grundbedürfnis ist.

Die Situation hunderttausender Menschen ist ja völlig verzweifelt. Hilft es Ihnen selbst auch, darüber zu berichten?
Ja, für mich ist es schon so eine Art Selbsttherapie. Ich lebe jetzt seit ca. zwei Jahren in Beirut. Am Anfang waren es noch hunderttausend Flüchtlinge, mittlerweile leben fast eine Million syrischer Flüchtlinge im Libanon, einem Land mit ca. vier Millionen Einwohnern. Das heißt, es gab in nur zwei Jahren sozusagen einen Bevölkerungszuwachs von fünfundzwanzig Prozent. Das wäre so, als wenn auf einmal zwanzig Millionen syrischer Flüchtlinge nach Deutschland gekommen wären. Und angesichts dieses Leids und der Unterversorgung, denn der Libanon ist ein armes Land mit großen strukturellen Problemen, fühlt man sich oft einfach machtlos. Und diese Filme zu machen und den Leuten ein bisschen Mut zuzusprechen und Ihnen zu sagen: "Ihr könnt Euch hier als Individuum, als Mensch äußern und auch wahrgenommen werden", das gibt mir so ein bisschen das Gefühl, etwas beizutragen - so wenig es auch ist.

SWR2 Kulturgespräch mit Cristin Lüttich von der Hilfsorganisation Bidayyat führte Wilm Hüffer am 5.2.2014 um 7.45 Uhr.

Interview Link:
http://www.swr.de/swr2/kultur-info/kulturgespraech/arbeit-der-syrischen-dokumentarfilmer/-/id=9597128/did=12819704/nid=9597128/18rr8rh/index.html

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